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TAGES-ANZEIGER   ARTIKEL VOM 23. JULI 2002

Eigenwillige Kunst im Schuppen

In Herrliberg zeigt Hannes Bossert Porträts von Dolendeckeln, Sämi Scherrer Bilder von Figuren im Raum.


Der Ausstellungsort hat seine eigene Faszination. Rund hundert Jahre bot der schlichte Holzschuppen beim Bahnhof Herrliberg/Feldmeilen Gütern aller Art eine befristete Lagerstätte. Im letzten Jahr wurde er von Marielen Uster und Stephan Stucki sanft renoviert und zu neuem Leben erweckt als Treffpunkt für Kulturinteressierte, Kunstlokal und Kleintheater. Dank seiner Funktion als «Kulturschiene» ist der Bau im Gegensatz zu verschiedenen anderen SBB-Güterschuppen an der Goldküste dem Abbruch entgangen.

Geheimnisvolle Ausstrahlung

Die spezielle Atmosphäre des Güterschuppens hat die in Zürich lebenden Künstlerfreunde Hannes Bossert und Sämi Scherrer bewogen, gemeinsam auszustellen. Unter dem Titel «Sommerloch» machen sie sich augenzwinkernd die saisonale Flaute im Kunstbetrieb zu Nutze.

Hannes Bossert ist vor vielen Jahren bekannt geworden mit Terrakotta- und Schnur-Objekten. Die aus umlaufenden Schnurlinien aufgebauten, ganz in sich gekehrten Köpfe und Figuren entwickeln eine starke Aura - die geheimnisvoll-fremde Ausstrahlung von Kultbildern. Einige dieser Keramikfiguren und in Bronze gegossenen Plastiken sind in der Herrliberger Ausstellung zu erleben.

Die Leidenschaft von Hannes Bossert gehört heute andern Gegenständen: den gusseisernen Dolendeckeln. Mit unglaublicher Hingabe schafft er Frottagen dieser sonst kaum beachteten Objekte, überträgt das Oberflächenrelief mit Reisbesen, Grafit und Farbkreide auf weisse Papierbögen. Den Blick nach unten gerichtet, zeichnet er so als Stadtwanderer durch Chur, Locarno, Zürich oder Paris ein Stück Industriegeschichte und Industriegrafik nach.

Das Unscheinbare zeigt erstaunliche formale Vielfalt: vom spröden Schachbrettmuster über Sonnenformen zur Riesenmünze, zum «Keltenkreuz» oder zum «Mandala». Selbst die eher nüchternen Zürcher Dolen aus den Jahren 1892 bis 1918 entwickeln als Einzelaufnahmen und als Bilderfries ein Eigenleben. Bosserts Präparate der Wirklichkeit lassen erahnen, dass die schweren Eisenrondelle auch Energieströme unter dem Deckel halten.

«Inegaffe»

Sämi Scherrer ist in vielen Gebieten zu Hause. Der Hochbauzeichner, Schauspieler, Fernseh-, Film- und Theaterregisseur lässt seine Erfahrungen ins bildende Schaffen einfliessen, das ihn seit rund 15 Jahren intensiv begleitet.

Immer steht «Inegaffe» in einem weit gefassten Sinn am Anfang des künstlerischen Arbeitsprozesses. Eine bildhauerische Kostprobe gibt die «Grosse Wartende», eine überhöhte Sitzfigur, die Scherrer aus dem Innern eines Stuhlbeins «herausgesehen» und befreit hat.

Scherrers Blick hinter die Erscheinungsformen der Natur und ins eigene Innere liefert Stoff für Zeichnungen. Der Künstler interessiert sich für Menschen, für ihre Beziehungen untereinander, zum Raum und zur Architektur. Mit klaren, fliessenden Bleistiftstrichen reduziert er seine Figuren auf körperlose, lineare Wesen oder auf einzelne Körperfragmente. Das Auge als Regisseur kann sie sich dann aus verschiedenen Teilen zusammenfügen. Gefässe, Pflanzen, Vögel, Wolken und Menschen gehen Verbindungen ein. Sämi Scherrer zeichnet selten direkt auf Papier. Eine helle, aus Erde hergestellte Grundierung federt den Strich ab, die Figuren erhalten auf diese Weise etwas Schwebendes. (bhs)

© Tamedia AG
AUSSTELLUNG
HANNES R. BOSSERT
HANNES R. BOSSERT

SÄMI SCHERRER
SÄMI SCHERRER

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